Die Veröffentlichung der 95 Thesen in Wittenberg 31.10.1517

Menschen im 16. JahrhundertHeute zum Reformationstag denken wir zurück an die Menschen zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Sie hatten ebenfalls mit Kriegsfolgen, Krankheit und Teuerung zu kämpfen. Sie waren zumeist Leibeigene und durften nicht in einer Demokratie mit Grundrechten und Menschenrechten leben. Sie lebten in der sogenannten „kleinen Eiszeit“, die Hungerwinter, lange zugefrorene Seen und Gletscherwachstum mit sich brachte. Ihr medizinischer, sozialer und technischer Standard war viel niedriger als heute, und was noch hinzukommt: Sie hatten oft eine panische Angst vor Gott als strafendem Richter.

31. Oktober 1517: 95 ThesenAm 31. Oktober 1517 war der Vorabend vor dem Patronatsfest der 1503 eingeweihten Wittenberger Schlosskirche „Aller Heiligen“. An diesem Abend heftete Martin Luther seine lateinisch verfassten 95 Thesen zu Ablass und Gnade an die Holztür der Wittenberger Schlosskirche. Diese Tür diente damals zugleich als Schwarzes Brett der 1502 gegründeten Universität Wittenberg. Luther wollte eine Gelehrtendiskussion – und bekam Mega-Publicity, Aufmerksamkeit aus allen Teilen Deutschlands.

Evangelium als KirchenschatzIch möchte daraus nur zwei Thesen vorlesen. Zum Beispiel These 76: „Die päpstlichen Ablässe können nicht einmal die kleinste der lässlichen Sünden tilgen, was die Schuld betrifft.“ Damit ist der Ablasshandel wertlos. Stattdessen verweist Luther allein auf den durch Christi Verdienst geschenkten Schatz: „Der wahre Schatz der Kirche ist das heilige Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes.“ So lautet These 62. Es ist aus meiner Sicht die gewichtigste von allen.

Gottes Gnade im Evangelium ist gratis für GläubigeWas für ein großes Glück für sehr viele Menschen muss dies damals gewesen sein. Gott spricht seine Gnade im Evangelium gratis allen Gläubigen zu. Er lässt sich nicht in Gulden dafür bezahlen oder durch Ablässe zu etwas bewegen. Aus den Anfängen vom Spätherbst 1517 entwickelte sich eine große Bewegung. In der Folge entstanden Evangelische Kirchen.

Reformatorische EntwicklungenGott führt in die Freiheit durch sein heiliges Wort. Gott schenkt Zukunft. Gott richtet Menschen auf und begabt sie. Aus diesen Überzeugungen entstanden Entwicklungen, die für uns heute selbstverständlich sind, zum Beispiel für alle verständliche Gottesdienste landauf landab in der Landessprache, Schulen für alle Kinder, verheiratete Geistliche mit Kindern und Familie, ein Schatz von für alle singbaren Gemeindeliedern in verständlicher Sprache.

Segen als Folge der Gnade GottesHalten wir heute an den großen Entdeckungen der Reformation fest? Pflegen wir ihre Errungenschaften? Bis heute tragen die Evangelischen Kirchen in starkem Maß zur Bildung in allen Sektoren und Bereichen, zu einem entwickelten Lebensstandard, zu sozialem Zusammenhalt und zur Diakonisierung der Gesellschaft bei. Die Reformation trägt dadurch zur Erfüllung der „Sehnsucht nach Glück“ bei, dass sie die Gnade Gottes als geschenkt, als von Gott zugesprochen, versteht. Alles Übrige sind Folgen daraus.

Autorin / Autor: Professor Dr. Bernhard Mutschler, Reutlingen aus der Predigt zum Reformationsfest am 31.10.2023