Das Singen

Der Evangelist Lukas hat etwas von der Kraft, die in Liedern steckt gewusst. In seinem Weihnachtsevangelium finden wir vier Lieder.
 Es beginnt mit dem
 Gesang des Zacharias, als dessen Sohn Johannes geboren wird – später Johannes der Täufer. Dieses Lied ist das sogenannte „Benediktus“ (Lukas 1, 67-79). Dann folgt der Lobgesang des Simeon („Nunc dimittis“, Lukas 2,29-32). Im Tempel in Jerusalem erkennt Simeon im neu geborenen Jesuskind den erwarteten Heiland. Damit geht für Simeon die Verheißung Gottes in Erfüllung. Als nächstes folgt das Lied der Engel, das „Gloria in Excelsis“: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“ (Lukas 2,14). Dieser himmlische Gesang erklang damals den Hirten auf den Feldern bei Betlehem. Heute singen wir dieses Gloria im Gottesdienst, und J.S. Bach komponierte 1742 dazu eine Weihnachtskantate.
Und schließlich überliefert Lukas uns das „Magnificat“, das Lied Marias, (Lukas 1,46-55).
 Diese vier Lieder des Lukasevangeliums werden seit rund 2000 Jahren in verschiedenen Vertonungen und Varianten gesungen. Sie haben bis heute ihren Platz in der Messe und in den Stundengebeten der Klöster. Sie klingen in vielen Advents- und Weihnachtsliedern mit, die wir aus unserem Gesangbuch kennen. Und sie alle lassen uns fühlen, was die Menschen vor vielen Generationen und bis heute erwarten und hoffen: Veränderungen sind möglich. Gott selber greift ein.
Pfarrerin / Studienrätin Stephanie Kscheschinski, Lörrach in ihrer Predigt zum 4.Advent 2024

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Lukas 1,50-53

Montag 23.12.2024 – 4.ADVENT - Lukas 1,50-53 Das Singen - Pfarrerin / Studienrätin Stephanie Kscheschinski

Von Maria lernen zu singen, die von Christus in sich inspiriert, Gott freudig loben kann und so Hoffnung für sich und die ganze Menschheit schöpft

Die Faszination: 

Lukas 1,50-53 Seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen

Es ist ungewöhnlich, dass in der damaligen Welt eine junge Frau auftritt und laut singt. Ihre Rolle war eine ganz andere. Sie sollte sich um das Wohl der Familie im Haus kümmern: um Kochen, Backen, Waschen, Säen und Ernten. Dabei hätte sie leise vor sich hin summen können. Das wäre erlaubt gewesen. Aber laut auftreten und ein Lied singen, das hinauszieht in die Welt, das war nun wirklich nicht die Aufgabe einer Frau. Maria, die schwangere junge Frau, sprengt ihre gesellschaftliche Rolle auf. Sie singt kein Lied, das ihre tägliche Arbeit zum Thema hat. Sondern sie singt ein politisches Lied, das über Generationen hinweg das politische Schicksal ihres Volkes in den Blick nimmt. Sie kennt die Geschichte ihres Volkes. Sie weiß, dass Israel von den Römern besetzt und ausgebeutet wurde.

Nun ergreift Maria, die Gottesgebärerin, die junge Frau, ihre Chance. Denn sie weiß, dass sie den Heiland zur Welt bringen wird, der Heil und Segen mit sich bringt. Sie weiß, dass Gott Großes mit ihr vor hat und auch mit ihrem Sohn. Deswegen versteckt sie sich nicht im stillen Kämmerlein, sondern tritt heraus: Mutig und stark singt sie in der Tradition der großen politischen Frauen ihr Lied. Und dieses Lied singen und kennen wir bis heute. Es zieht hinaus in die Welt. “Und Hoffnung bringt es. Wer immer es hört, der versteht, um was es geht.“

Um was geht es nun eigentlich? Marias Lied ist kein Triumphlied. Kein Siegeslied. Sie hat einen klaren Blick auf die Zustände ihrer Zeit und singt ihr Lied aus der Perspektive der leidenden Welt. Sie weiß: Ihr Volk ist noch nicht befreit. Sie weiß: Die Mächtigen sitzen noch auf den Thronen und haben das Zepter noch in der Hand. Sie weiß auch, dass viele Menschen arm sind und hungern nach Brot. Und sie weiß, dass viele Menschen hungern nach Wiederherstellung ihrer Würde und nach Gerechtigkeit. Maria ist eine Seherin. Sie hat eine Vision. Sie weiß, wo es mit der Welt hingehen muss und kann. Und sie vertraut auf Gott. Sie rechnet mit seinem Eingreifen und damit, dass die Macht des Guten am Ende siegt und die dunklen Mächte vom Thron gestoßen werden.
Und so geht es darum, dass Maria uns mit ihrem Lied ermutigen will, an Gott festzuhalten. Ihm alles zuzutrauen und von ihm alles zum Guten hin zu erwarten. Für Maria sind große Veränderungen hin zum Guten möglich. Sie bricht auf, wird zur Gottesgebärerin und gestaltet damit das Leben und die Geschichte neu.

Lukas meint, dass die Veränderung der Welt Lieder braucht, die hinausziehen in die Welt. Und so lässt er in seinem Weihnachtsevangelium zwei alte Männer singen, Zacharias und Simeon, dazu die junge Frau Maria und das Heer der himmlischen Heerscharen, die Engel. So macht uns der Evangelist klar, was Weihnachten bedeutet. Wie weit das Weihnachtsgeschehen geht, wenn der Heiland geboren wird.

Ich halte Lukas für einen klugen Geist. Auch er weiß, dass in unseren Lebensgeschichten oft Wehklagen und Trauermusik den Ton angeben. Er weiß, dass wir Menschen oft ratlos sind angesichts der aktuellen Weltgeschichte. Dass wir angstvoll in die Zukunft blicken und uns fragen, wie soll das nur werden? Lukas weiß sicher, dass es uns immer wieder sehr schwer fällt, hoffnungsvoll zu sein und zu bleiben. Und dass uns Veränderungen zum Guten hin sehr unwahrscheinlich erscheinen.
Aber genau darum ermuntert er uns zum Mitsingen! Er will uns herauslocken aus unserer dunklen Verzagtheit und uns ermuntern zum Singen, Beten und Hoffen. Denn Veränderungen sind möglich. Zum Guten hin.

Und so soll dieses Lied der Maria durch uns hinausziehen in die Welt. Es soll Hoffnung bringen. Und wer immer es hört, der versteht dann auch, um was es geht. Pfarrerin / Studienrätin Stephanie Kscheschinski, Lörrach in ihrer Predigt zum 4.Advent 2024